Schreiben macht am meisten Spaß, wenn die Ideen nur so sprudeln. Wenn man im Flow ist und sich der Roman fast von selbst schreibt, weiß man, warum man sich die ganze Mühe immer wieder macht.
Manchmal braucht man gute Methoden
Leider ist das nicht der Regelfall. Denn Schreiben ist zwar große Freude, aber eben auch harte Arbeit. Wenn sich die Geschichten nicht automatisch ergeben, ist es sehr wichtig, sich ein gutes Methodenwissen angeeignet zu haben. So kann man durch Handwerkszeug auch Schreibflauten ausgleichen.
Ich werde in den folgenden Wochen immer wieder neue Schreibmethoden vorstellen, mit denen du in der Lage bist, viel strukturierter an das Thema Schreiben heranzugehen. Ein Beispiel für eine solche Methode ist die Schneeflockenmethode. Sie wurde erfunden von Randy Ingermanson, einem US-amerikanischen Schriftsteller, der selbst erfolgreich mit der Schneeflockenmethode Romane schreibt. Seinen eigenen, sehr ausführlichen Artikel zu seiner Methode findest du hier.
Was ist die Schneeflockenmethode?
Manchmal weiß man schon sehr genau, wohin sich ein Roman entwickeln soll. Viel häufiger kommt es aber vor, dass man eine Idee hat und begeistert denkt „Daraus könnte ich einen Roman machen!“. Und dabei bleibt es dann. Denn eine Idee ist eben noch lange keine Geschichte. Und genau hier setzt die Schneeflockenmethode an: Sie hilft dir dabei, deine Idee strukturiert bis zum Roman (oder zur Kurzgeschichte) auszubauen.
Der Name „Schneeflockenmethode“ kommt aus der Mathematik. Die Koch Snowflake ist ein mathematisches Konstrukt, das entsteht, indem ein Dreieck um immer weitere Dreiecke ergänzt wird. Eine bessere Erklärung inklusive Abbildung findet ihr bei Wikipedia. Genauso wie die Schneeflocke aus eine sehr einfachen Figur durch hinzufügen weiterer einfacher Figuren entsteht, soll sich auch dein Roman entwickeln: Vom Einfachen ins immer Komplexere.
Ingermanson hat hierzu einen Weg von zehn Schritten ausgearbeitet, durch die Stück für Stück die Idee um weitere Elemente ergänzt wird. In jedem weiteren Schritt wird etwas hinzugefügt, so dass am Ende ein komplettes Gerüst für deine Geschichte steht. Diese zehn Schritte der Schneeflockenmethode stelle ich dir im Folgenden vor.
Die zehn Schritte der Schneeflockenmethode
Die Schneeflockenmethode gibt Struktur und Klarheit vor, indem sie zehn aufeinanderfolgende Schritte definiert. Je weiter du voranschreitest, desto klarer wird dein Roman für dich. Dies bedeutet jedoch auch, dass die Methode nicht nur in eine Richtung funktioniert. Du wirst immer wieder an Punkte kommen, an denen du merkst, dass nicht mehr alles zu den vorhergehenden Schritten passt. Du kannst in solchen Situationen natürlich jederzeit die Ergebnisse der früheren Schritte anpassen. Tatsächlich passiert dies fast automatisch und ist Teil des Prozesses.
Schritt 1: Deine Idee in einem Satz
Im ersten Schritt musst du deine Idee in einem Satz zusammenfassen. Das ist schwieriger, als es vielleicht zunächst scheint, denn es bedeutet, dass du schon eine relativ genaue Vorstellung davon haben musst, was der Kern deiner Geschichte ist. Nimm dir hierzu also genügend Zeit. Und schreibe keinen Bandwurm-Satz, sondern einen kurzen, einprägsamen, den du später sogar dazu verwenden kannst, dein Buch im Exposé anzuteasern.
Als Beispiele habe ich drei Bücher, die du vielleicht kennst, in einem Satz zusammengefasst.
- Eine Krankenschwester zwingt ihren Lieblingsschriftsteller, eine Fortsetzung ihrer geliebten Roman-Reihe zu schreiben. (Sie von Stephen King)
- Ein ahnungsloser Bankangestellter wird für etwas nicht näher Bestimmtes angeklagt und gerät in den Strudel der Bürokratie. (Der Prozess von Franz Kafka)
- Eine Gruppe Kaninchen bricht auf, um ein neues Zuhause zu finden. (Unten am Fluss von Richard Adams)
Schritt 2: Dein Roman in einem Absatz
Basierend auf deiner Ein-Satz-Zusammenfassung beschreibst du nun deinen Roman in etwa fünf Sätzen. Der entstehende Absatz soll deine gesamte Geschichte inklusive der wichtigsten Konflikte / Wendepunkte und des Endes zusammenfassen. Auch hier wirst du ein bisschen Zeit benötigen, da du wichtige Elemente deines Romans festlegst.
Am Beispiel von Sie könnte das Ganze so aussehen:
Schriftsteller Paul Sheldon hat seine berühmte und beliebte Misery-Reihe durch den Tod der Heldin beendet und einen völlig anderen Roman geschrieben. (Ausgangssituation) Auf dem Weg nach Los Angeles verunglückt er in seinem Wagen und wird von der Krankenschwester Annie Wilkes gefunden und statt in ein Krankenhaus zu ihr nach Hause gebracht. (1. Konflikt / Wendepunkt) Annie ist ein großer Misery-Fan, und als sie erfährt, dass die Reihe nicht fortgesetzt werden soll, zwingt sie Sheldon, seinen neuen Roman zu zerstören und stattdessen einen weiteren Misery-Roman zu schreiben, wozu sie ihm Essen entzieht, ihn medikamentenabhängig macht und ihn sogar foltert. (2. Konflikt / Wendepunkt) Als Sheldon den Roman vollendet hat, schafft er es, Annie in einem Kampf auf Leben und Tod zu überrumpeln und schließlich zu entkommen. (3. Konflikt / Wendepunkt) Sheldon hat mit dem neuen Misery-Roman großen Erfolg, ist aber nach seiner Zeit bei Annie Wilkes ein gebrochener Mann. (Ende)
Schritt 3: Deine Figuren
Deine Figuren sind das Wichtigste an deinem Roman. Mit ihnen identifiziert der Leser oder die Leserin sich und sie treiben die Geschichte voran. Daher sollst du in Schritt 3 für jede deine Figuren zusammenfassen, wer sie ist, was sie antreibt und was ihre Rolle in deinem Roman ist. Je besser du deine Figuren ausarbeitest, desto leichter wird es dir später fallen, deinen Roman zu schreiben
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Schritt 4: Vom Absatz zum Grundgerüst
Du hast nun eine Grundstruktur und die Hauptfiguren. Mit diesem Gerüst baust du deine Geschichte weiter aus. Jeden Satz aus Schritt 2 erweiterst du so, dass er einen ganzen Absatz ergibt. Denke auch hier schon immer daran, dass Konflikte deine Geschichte vorantreiben, also geize nicht damit. Ziel ist es, am Ende eine Seite Text zu haben, die das Gerüst deines Romans bildet.
Schritt 5: Die Geschichte aus der Sicht deiner Hauptfiguren
Nun folgt der Schritt, den ich persönlich am spannendsten finde: Du nimmst verschiedene Blickwinkel ein und schilderst die Geschichte aus der Sicht deiner Hauptfiguren. Der Umfang sollte auch hier jeweils eine Seite sein. Außerdem kannst du dich nun um deine Nebenfiguren kümmern und jede auf etwa einer halben Seite beschreiben.
Schritt 6: Die Geschichte ausbauen
Mit den Ergebnissen aus den beiden vorangegangen Schritten kannst du die nächsten Elemente zu deiner schönen Schneeflocke Roman hinzufügen. Baue jeden Absatz aus Schritt 4 zu einer ganzen Seite aus und lasse alles einfließen, was du in Schritt 5 erarbeitet hast. Anschließend umfasst dein Roman schon fünf Seiten, und das nach nur sehr kurzer Zeit!
Schritt 7: Deine Figuren weiter formen
Auf Basis der Schritte 3 und 5 entwirfst du nun vollständige Personenprofile. Nimm dir Zeit für deine Hauptfiguren und die zwei bis drei wichtigsten Nebenfiguren. Nach diesem Schritt solltest du wirklich alles über sie wissen.
Du brauchst deutlich mehr Hintergrundwissen über deine Figuren, als du explizit im Roman beschreiben wirst. Schritt 7 ist der Punkt, an dem du all diese Informationen zusammenstellst. Wenn du jetzt etwas in den vorigen Schritten ändern möchtest, ist das kein Problem. Die Schneeflockenmethode ist nicht starr. Sie soll dir vielmehr helfen, dich Stück für Stück näher an deine Geschichte zu bringen.
Schritt 8: Aufbau einer Szenen-Tabelle
Ja, richtig, Tabelle. In Schritt 8 der Schneeflockenmethode wirst du deine 4-5-Seiten-Zusammenfassung in eine Szenenliste übersetzen. Randy Ingermanson empfiehlt, hierzu eine Tabelle anzulegen. So kannst du jede Szene in einem Satz beschreiben, die wichtigste Figur der Szene benennen und weitere nützliche Informationen (Wendepunkt in der Szene, weitere Figuren, Ort, Zeit) ergänzen. Das ist vielleicht beim Aufbau anfangs lästig, aber auch hier hilft die Struktur sehr gut dabei, deinen Roman voranzutreiben. Und die Tabelle, die entsteht, erleichtert dir das Schreiben später ungemein.
Schritt 9: Die Szenen ausformulieren
Mit Hilfe deiner Szenen-Tabelle kannst du nun beginnen, eine umfassende Zusammenfassung des Romans zu schreiben. Du formulierst alle Szenen so aus, dass du etwa einen Absatz pro Szene hast. Du kannst auch Dialog hinzufügen. Jede Szene sollte einen Konflikt enthalten, ansonsten wird sie nur langweilig sein.
Schritt 10: Der erste Entwurf
Die ganzen Vorarbeiten, die du geleistet hast, kannst du nun perfekt nutzen, um den ersten wirklichen Entwurf deines Romans zu schreiben. Orientiere dich an Schritt 9 und arbeite die einzelnen Szenen so aus, wie du sie verwenden möchtest.
Natürlich ist nach dem ersten Entwurf nicht Schluss, denn du wirst deinen Roman sicher noch mehrere Male überarbeiten, bevor du ihn verlegen lassen kannst. Aber an diesem Punkt endet die Schneeflockenmethode.
Wann setzt du die Schneeflockenmethode ein?
Die Schneeflockenmethode eignet sich vor allem, wenn du erst eine grobe Idee von Geschichte und Figuren hast. Dadurch, dass du abwechselnd den Plot und die Figuren weiterentwickelst, brauchst du am Anfang nicht wirklich viel. Wenn du deine Geschichte schon grob skizziert hast und sie verfeinern möchtest, sind vielleicht eher die letzten Schritte der Schneeflockenmethode etwas für dich. Alternativ könnte die Heldenreise dir gute Unterstützung bei der Ergänzung deiner Geschichte machen.
Hoffentlich helfen dir diese Tipps, deine Ideen strukturiert zu ganzen Romanen aufzubauen.
Hast du bereits Erfahrungen mit der Schneeflockenmethode oder anderen Schreibmethoden?