Dies ist der letzte Teil meiner sechsteiligen Reihe Über Emotionen schreiben, und ich habe ihn einem besonderen Gefühl gewidmet: der Liebe.
Warum es so schwierig ist, über Liebe zu schreiben
Liebe ist ein sehr intimes Gefühl. Es besteht zwischen zwei Menschen und es ist immer von der Unsicherheit geprägt, ob beide Seiten gleich empfinden. Denn wenn man jemanden liebt, geht das meist einher damit, dass man sich wünscht, dass das umgekehrt genau so der Fall ist. Jeder kennt diese Unsicherheit und jeder kennt auch das Befreiende und Erlösende, wenn sich herausstellt, dass man nicht nur liebt, sondern auch geliebt wird. Dies passiert aber immer in einer Situation zu zweit, ohne Publikum. Man sagt sich Dinge, die man der geliebten Person nur deswegen anvertraut, weil dieses Gefühl da ist. Was man sagt, ist vielleicht romantisch, zärtlich, verführerisch, vor allem aber immer sehr nah. Und nichts für die Ohren anderer.
Denn dieselben Sätze, die sich in den Ohren der geliebten Person wunderschön anhören, lesen sich in einem Buch furchtbar kitschig. Denn ihnen fehlt die Intimität, die Zweisamkeit. Das ist einer der Gründe, warum es so leicht ist, gerade bei Liebesromanen in Klischees zu verfallen. Ein tiefer Blick in die Augen deines Gegenübers mag sich toll anfühlen, wenn du ihn selbst erlebst. Wenn du ihn so beschreibst, hat jeder Leser Bilder aus kitschigen Filmen vor Augen. Das eigentliche Gefühl, das du vermitteln willst, bleibt dabei auf der Strecke.
Ich empfehle trotzdem nicht, einen großen Bogen um Liebesgeschichten zu machen – auch, wenn sie nicht immer einen guten Ruf haben. Eine gut geschriebene, nachfühlbare Liebesgeschichte kann einen Roman zu etwas Besonderem machen. Dazu muss sie aber frei von Kitsch und Pathos sein. Und das funktioniert am besten, wenn du die Liebe nicht ganz so direkt und nicht ganz so glücklich schilderst. Da dies eng mit dem Plot deines Romans zusammenhängt, habe ich fünf Möglichkeiten aufgelistet, wie Liebe auch ohne Pathos auskommen kann – und gleich fünf Beispiele aus der Literatur zusammengetragen, in denen dies meiner Meinung nach besonders gut gelungen ist.
[perfectpullquote align=“full“ bordertop=“false“ cite=““ link=““ color=““ class=““ size=““]Dieselben Sätze, die sich in den Ohren der geliebten Person wunderschön anhören, lesen sich in einem Buch furchtbar kitschig. [/perfectpullquote]
Fünf Möglichkeiten, wie du über Liebe schreiben kannst, ohne kitschig zu werden
Möglichkeit 1: Eine mögliche Liebe findet nicht statt.
Ein Weg, Liebe als nicht kitschig darzustellen, ist, sie gar nicht erst stattfinden zu lassen. Dann sind beide Protagonisten (oder nur eine/r) mit den Gefühlen allein, und diese wirken, wenn sie nicht erfüllt werden, deutlich weniger pathetisch. Gründe dafür, dass es zu keiner Liebesbeziehung kommt, können sein, dass diese gegen gesellschaftliche Konventionen verstoßen würde (wie zum Beispiel in Romeo und Julia), keiner je den ersten Schritt tut oder dass sich einer der beiden bewusst gegen diese Liebe entscheidet.
Beispiel: Die Knochenuhren von David Mitchell. In diesem Roman trifft Hugo Lamb Holly Sykes und weiß sofort, dass sie die Frau ist, mit der er sein Leben verbringen möchte. Holly ist etwas distanzierter, aber es scheint zumindest nicht unmöglich, eine Beziehung einzugehen. Hugo entscheidet sich jedoch dafür, ein verlockendes Angebot anzunehmen, das ihm unter anderem viel Geld einbringen wird – und redet sich ein, dass Liebe eigentlich gar nicht existiert.
Möglichkeit 2: Die Emotionen sind sehr unterschiedlich, was beiden bewusst ist.
Wenn nicht beide Partner gleich empfinden, sich jeden Tag verliebt in die Augen schauen und die Sätze gegenseitig beenden, gibt das deiner Geschichte etwas Trauriges und gleichzeitig Realistisches. Auch so kannst du über Liebe schreiben, ohne wie ein Groschenroman zu wirken. Wenn beiden dies bewusst ist und sie die Beziehung trotzdem eingehen, wird die Liebesgeschichte noch einmal interessanter.
[perfectpullquote align=“full“ bordertop=“false“ cite=““ link=““ color=““ class=““ size=““]Ein Weg, Liebe als nicht kitschig darzustellen, ist, sie gar nicht erst stattfinden zu lassen.[/perfectpullquote]
Beispiel: Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins von Milan Kundera. Teresa braucht in ihrem Leben nur Tomas, und zwar mit Haut und Haaren. Er liebt Teresa auch, braucht jedoch wechselnde Beziehungen, um sich frei zu fühlen. Seine Untreue verletzt sie zutiefst, ihre Eifersucht engt ihn ein, und dennoch versuchen sie, so gut es geht füreinander da zu sein.
Möglichkeit 3: Eine glückliche Liebe dient nur als Kontrast zu einer unglücklichen.
Du kannst natürlich mehr als eine Liebesgeschichte erzählen. Wenn eine glücklich (und vielleicht ein bisschen kitschig oder langweilig) ist, wird der Kontrast zu einer unglücklichen Liebe noch größer – die vielleicht am Ende nicht gut endet.
Beispiel: Anna Karenina von Lew Tolstoi. Kitty und Ljewin, zwei Nebenfiguren, finden nach einigen Irrungen zueinander und sind am Ende sehr glücklich verliebt, während Anna und ihr Geliebter Graf Wronskij nicht glücklich werden können, weil sie verheiratet und er ein eingefleischter Junggeselle ist.
Möglichkeit 4: Die Liebe wird durch ein Unglück beendet.
Über Liebe schreiben kann man auch, wenn sie eigentlich schon vorbei ist. Eine beendete Beziehung Revue passieren zu lassen, ist eine gute Möglichkeit, tiefe Gefühle darzustellen, ohne pathetisch zu wirken. Denn im Vordergrund der Erzählung steht dadurch immer der Verlust der Gefühle und nicht die Emotionen selbst.
Beispiel: Der Mann schläft von Sybille Berg. In diesem Roman findet eine Frau mit Anfang vierzig die große Liebe – und verliert sie kurz darauf wieder. Ihr Mann verschwindet im Urlaub spurlos und sie sucht ihn verzweifelt und empfindet so natürlich noch viel stärker für ihn.
[perfectpullquote align=“full“ bordertop=“false“ cite=““ link=““ color=““ class=““ size=““]Du kannst natürlich in einem Roman auch mehr als nur eine Liebesgeschichte erzählen.[/perfectpullquote]
Möglichkeit 5: Die Liebe ist keine romantische, sondern die zwischen Freunden, Geschwistern oder Eltern und ihrem Kind.
Steht keine romantische Liebe, sondern Freundschaft oder verwandtschaftliche Liebe im Vordergrund deiner Erzählung, kannst du viel einfacher über Liebe schreiben. Denn den Gefühlen, die du darstellst, fehlen automatisch die tiefen Blicke und zärtlichen Liebesbekundungen, die, wenn sie nicht wirklich gut geschrieben sind, die falsche Art von Gänsehaut entstehen lassen.
Beispiel: tschick von Wolfgang Herrndorf. Zwei Jungs klauen einen Lada und fahren damit in die Walachei. Und sind so offen zueinander, wie sie es zu niemand anderem sein könnten. Und die Konsequenz, mit der sie füreinander einstehen, ist nichts anderes als Liebe, auch wenn der romantische Aspekt hier (weitestgehend) ausgeklammert wird.
Ich hoffe, meine Tipps konnten dir helfen, in Zukunft noch besser über Liebe zu schreiben.