Figurenentwicklung Teil 2: Wie man realistische Figuren entwirft

von yvonne 

Was ist aus deiner Sicht das Wichtigste an einem Roman oder an einer Erzählung? Natürlich gehört sehr viel zu einem fesselnden Roman: eine möglichst kreative Idee, ein spannender Schreibstil, eine gute Struktur (zum Beispiel durch die Heldenreise), überzeugende Wendungen… Doch egal, wie gut dir diese Punkte gelingen, ohne realistische Figuren wird dein Buch niemanden in seinen Bann ziehen.

Warum überhaupt realistische Figuren entwerfen?

Woran liegt das? Eigentlich ist es ganz einfach und auch logisch. Geschichten erlebt man ja nicht nur in Romanen oder Filmen, d.h. nicht nur in erfundenen Storys, sondern wir alle erzählen uns ständig gegenseitig kurze Anekdoten. Und worum geht’s da? Richtig, um Menschen. Um den netten Jungen, der uns den Schal, den wir verloren haben, nachgetragen hat, oder um den unfreundlichen Autofahrer, der uns geschnitten hat.

[perfectpullquote align=“full“ bordertop=“false“ cite=““ link=““ color=““ class=““ size=““]Ohne realistische Figuren wird dein Buch niemanden in seinen Bann ziehen.[/perfectpullquote]

Eigentlich wollen wir alle nichts anderes, als ständig etwas davon hören, was andere tun und wie andere sich verhalten. Das ist nicht nur spannend und unterhaltsam, sondern auch ein großer Überlebensvorteil des Menschen: Wir lernen durch das Verhalten anderer. Wir müssen also nicht jeden Fehler selbst machen.

Wenn wir etwas über Menschen hören, zu denen wir eine Verbindung haben, passiert außerdem etwas ganz Besonderes: Wir fühlen mit ihnen. Wir freuen uns, wenn unsere Schwester ihr Abi besteht, sind sauer, wenn unser bester Freund von seinem Chef gepiesackt wird, und wir sorgen uns, wenn unser Onkel ins Krankenhaus muss. Auch wenn wir selbst diese Dinge gar nicht erleben, fühlen wir für die anderen Menschen mit.

All dies trifft nicht nur auf echte, lebende Menschen zu, sondern auch auf Romanfiguren. Und das kannst du dir zunutze machen. Denn wenn du es schaffst, dass deine Leser eine persönliche Verbindung zu deinen Figuren aufbauen, werden sie dein Buch nicht mehr aus der Hand legen, bis sie alles erfahren haben, was du zu erzählen hast. Sie werden auch nach der Lektüre noch an diese tolle Figur denken und ihren Freunden davon erzählen, und sie werden es nicht erwarten können, bis dein nächster Roman erscheint.

In deinen Geschichten geht es immer um Figuren

Wenn du jetzt von der Wichtigkeit deiner Figuren überzeugt bist, ist der erste Schritt bereits getan. Die eigentliche Arbeit kommt aber erst noch, denn nicht jeder Schriftsteller kann wirklich gute Figuren entwerfen. (Ein wirklicher Meister dieser Disziplin ist übrigens Stephen King. Auch, wenn du nicht auf Horror stehst, solltest du dir unbedingt anschauen, wie seine Figuren angelegt sind. Die möchte man nämlich wirklich wahlweise zum Abendessen einladen oder einen weiten Bogen um sie machen.)

[perfectpullquote align=“full“ bordertop=“false“ cite=““ link=““ color=““ class=““ size=““]Auch wenn wir selbst diese Dinge gar nicht erleben, fühlen wir für die anderen Menschen – und für realistische Figuren – mit.[/perfectpullquote]

Gute Figuren entwerfen kann man lernen. Wenn du meine 5 Tipps beachtest, kannst du realistischere Figuren entwerfen, denen sich deine Leser verbunden fühlen werden. Außerdem habe ich ein Arbeitsheft entworfen, das dir hilft, Hauptfiguren auszuarbeiten, die man nie wieder vergisst. Du findest es in meinem Schreib-Shop.

Meine Top 5-Tipps, wie du unvergessliche Figuren entwerfen kannst

Tipp 1: Lege deine Figuren mehrdimensional an.

Für mich (und viele andere) ist die spannendste und ansprechendste Figur in der Harry Potter-Reihe Severus Snape. Der Lehrer hasst Harry Potter, dessen Vater und das ganze Haus Gryffindor. Trotzdem rettet Snape den Zauberschüler vor einem magischen Angriff. Denn Snape hat zwar seinen Hass, aber er hat auch Werte, die er über diesen Hass stellt. Und er nimmt die Verantwortung für seine Schüler ernst.

Die Faszination, die die Figur Snape nicht nur auf mich, sondern auf sehr viele Leser ausübt, kommt aus seiner Mehrdimensionalität. Snape ist ein Gegenspieler von Harry Potter, aber er ist nicht einfach nur böse. Er hat sein eigenes Wertesystem, das sehr verschieden ist von Harrys, das aber eben manchmal auch in dieselbe Richtung zeigt.

Wenn du deine Figuren entwirfst, beachte also, dass sie nie eindimensional werden. Deine Hauptfigur ist ein exzellenter Journalist, der Liebling seiner Kollegen, intelligent und immer der Erste bei einer neuen Story? Er engagiert sich in einem Obdachlosenheim und hat zwei misshandelte Hunde aufgenommen? Netter Kerl, aber doch ziemlich langweilig. Was keiner weiß (außer dir und deinen Lesern): Er ist Kleptomane, hat es nahezu im Griff, aber stiehlt immer noch im Supermarkt Schokolade. Weniger nett, aber dafür umso interessanter!

Ganz wichtig dabei: Vermeide Klischees. Nimm nicht den hartgesottenen Privatdetektiv, der seinem Vater nacheifert. Du willst, dass deine Leser deine Figur für realistisch halten, nicht, dass sie gähnen, weil sie eine solche Figur schon 100 Mal in Romanen oder Filmen getroffen haben.

Tipp 2: Gib deinen Figuren eine Vergangenheit.

Du musst viel mehr über deine Figuren wissen, als du deinen Lesern preisgibst. Denn nur so schaffst du es, wirklich schlüssige Handlungen und Verhaltensweisen deiner Figuren anzulegen. Und wer weiß, vielleicht entwickelt sich deine Geschichte so, dass du die Information brauchen kannst.

Unser Journalist könnte beispielsweise von sehr strengen und sehr kalten Eltern aufgezogen worden sein. Sie wollten auf keinen Fall, dass ihr Kind übergewichtig wird. Daher gaben sie ihm kein Taschengeld und erst recht keine Süßigkeiten. Bevor er Journalist wurde, hat er sich schon vorgenommen, nie zu werden wie seine Eltern. Also wurde er das Gegenteil von kalt: offen, hilfsbereit, liebevoll. Aber er hat es immer noch nicht gelernt, dass man sich hin und wieder etwas gönnen sollte. Wenn es ihm schlecht geht, brechen alle Dämme, und er stiehlt.

Um eure Figuren besser kennenzulernen, empfiehlt es sich, für sie einen richtigen Lebenslauf zu entwerfen. Dazu kannst du beispielsweise einen Fragebogen ausfüllen oder sogar ein Interview mit deiner Figur führen. Das Tolle daran ist, dass du nicht nur ganz viele Informationen über deine Figur in Erfahrung bringst, sondern dass sie nebenbei auch noch ihre eigene Stimme entwickelt.

Tipp 3: Es kommt auch auf die äußeren Werte an

Beim Thema Figuren entwerfen denkst du vielleicht an die Charakterisierungen, die du in der Schule gemacht hast. Dort ging es (zumindest in meiner Schule) hauptsächlich um Charaktereigenschaften. Die sind aus meiner Sicht auch besonders wichtig, weil man sich eben vor allem mit den psychologischen Eigenheiten einer Figur identifiziert.

Trotzdem ist es gut, wenn auch die „äußeren Werte“ deiner Figur so klar sind, dass deine Leser ein Bild vor Augen haben, sobald der Name fällt. Und genau der (der Name) gehört auch zu den äußeren Werten. Im Idealfall ergeben Name, äußeres Erscheinungsbild, Charakter und Vergangenheit ein stimmiges Gesamtbild deiner Figur.

[perfectpullquote align=“full“ bordertop=“false“ cite=““ link=““ color=““ class=““ size=““]Wenn du deine Figuren entwirfst, achte darauf, dass sie nie eindimensional werden.[/perfectpullquote]

​Neben Name und Aussehen ist zum Beispiel auch der Geschmack deiner Figur wichtig. Wie alt ist sie? Wie zieht sie sich an? Welchen Wagen fährt sie? Oder hat sie ein Fahrrad? Wo lebt sie? Wie ist ihre Wohnungseinrichtung? Das sind die Dinge, die man bei neuen Bekanntschaften zuerst erfährt, weil man sie sehen kann. Deine Figur braucht sie auch, damit deine Leser sie genau wie eine echte Person kennenlernen können.

Unser Journalist hat bisher nicht einmal einen Namen. Da seine Eltern sehr konservativ waren, gibt es für ihn einen traditionellen deutschen Namen: Heinrich. Bei dem Namen würde man sofort denken, dass der gute Mann die 70 bereits überschritten hat, aber Heinrich ist Ende 20. Er findet seinen Namen schrecklich, aber noch mehr hasst er es, wenn Leute ihn Heini oder Heinz nennen, also besteht er darauf, dass niemand ihm einen Spitznamen gibt.

Wie sieht Heinrich aus? Er ist sehr dünn, so, wie seine Eltern ihn haben wollten. Außerdem ist er ziemlich groß, weswegen er manchmal unbeholfen wirkt. Er trägt eine Brille, weil er wahnsinnig viel liest, und dabei festgestellt hat, dass seine Augen nicht so gut sind. Außerdem trägt er oft zu weite Kleidung, weil es ihm unangenehm ist, wie dünn er ist. In Wahrheit betont das seine Schlaksigkeit aber noch.

Tipp 4: Bring deine Figuren an ihre Grenzen – und darüber hinaus

Deine Geschichte lebt davon, dass deine Figuren sich entwickeln, vor allem deine Hauptfigur. Figuren entwerfen heißt daher auch, von Anfang an festzulegen, wo Grenzen deiner Figur sind, und sie im Lauf der Geschichte an diese Grenzen zu bringen, am besten sogar noch darüber hinaus.

Vielleicht hat deine Figur eine Phobie? Sie hasst Spinnen? Super, lass sie gegen Spinnen kämpfen. (Aber pass auch hier auf, dass du nicht in ein Klischee rutschst! Klischees sind langweilig und allenfalls etwas für Nebenfiguren, wenn man sie ganz bewusst einsetzt.)

Heinrichs Grenze sind seine Eltern. Er hat sie so verinnerlicht, dass er immer noch kein Geld für sich ausgeben kann, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. Das bedeutet, dass er großen Respekt vor Autoritäten hat. Im Roman muss er nun gegen seinen Chef aufbegehren, weil dieser seine Zeitung für Propaganda gegen das Obdachlosenheim nutzt, in dem Heinrich aushilft.

Tipp 5: Lass deine Figuren direkt zu Beginn etwas erleben, das Gefühle bei deinen Lesern auslöst

Deine Leser sollen eine emotionale Bindung zu deinen Figuren aufbauen. Daher ist es wichtig, dass sie selbst die Emotionen fühlen, die auch deine Figur empfindet. Bringe deine Figur daher schon sehr früh in eine Situation, in der sie sehr starke und nachvollziehbare Emotionen erfährt. Eine stärkere Bindung baut man übrigens zu Figuren auf, die etwas Negatives fühlen. Dies löst Mitleid aus, etwas (stark) Positives eher Unglauben oder sogar Missgunst.

Geeignete Emotionen sind zum Beispiel: Angst, Trauer, Erniedrigung, Hilflosigkeit, Scham, Wut.

Heinrich könnte beispielsweise am Anfang bei einem Diebstahl erwischt und vor den Augen seiner Nachbarn von der Polizei abgeführt werden. Damit diese Situation funktioniert, muss allerdings klar sein, dass Heinrich sich nicht an anderen bereichern wollte, sondern dass der Diebstahl aus inneren, unkontrollierbaren Zwängen heraus entsteht und dass er sich deswegen ohnehin schon schlecht fühlt.

Mit diesen fünf Tipps sollten deine Figuren noch realistischer werden. Wie du siehst, entdeckt man bei jedem der Punkte, an die man herangeht, weitere Eigenschaften für die Figur, die die Geschichte prägen können. Insofern ist es wirklich wichtig, sich vor dem Schreiben genügend Zeit für das Entwickeln der Figuren zu nehmen.

Figurenentwicklung Teil 1: Welche Figuren brauchst du?
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