In meinem Lieblingshotel riecht's nach Vanille.
Ich weiß nicht, wie sie das hinbekommen, aber über Jahre hinweg ist es immer derselbe leichte Duft, der mich dort begrüßt, sobald ich die Eingangshalle betrete.
Ganz selten erhasche ich diesen Geruch irgendwo anders - und bin dann in Gedanken sofort wieder an der Rezeption und checke für ein paar wunderbare Tage ein.
Würde mein Mann zu mir sagen: "Komm, lass uns noch mal ein paar Tage dort buchen", würde ich mich natürlich freuen - es hätte aber nicht diesen unmittelbaren Effekt wie der Duft. Denn ich müsste mir erst das Bild selbst hervorrufen, während es über meinen Geruchssinn von selbst passiert.
Was Vanille für mein Hotelgedächtnis ist, ist Show don't tell für Texte - ein schneller Weg in die bildhafte Vorstellung und damit in die Erinnerung deiner Leser*innen.
Was genau heißt "Show don't tell"?
"Sag mir nicht, dass der Mond scheint; zeige mir das funkelnde Licht auf zerbrochenem Glas."
In diesem Zitat fasst Anton Tschechow das Prinzip Show don't tell zusammen: nicht sagen, sondern zeigen ist die Devise. Und wie macht er das? Er zeigt es. Anhand eines Beispiels.
Genau das tue ich jetzt auch. Stell dir vor, du schreibst eine Geschichte über ein Kind, das allein zu Hause ist - und die Eltern bleiben länger weg, als gedacht.
Du könntest schreiben: "Es war schon nach acht. Langsam bekam Luisa Angst."
Damit ist alles gesagt, und auch sehr klar.
Es geht aber auch anders. Zum Beispiel so: "Luisa überlegte, ob sie das Licht einschalten sollte. Es wurde langsam dunkel. Aber Mama hatte gesagt, sie käme im Hellen nach Hause. So lange das Licht nicht an war, war es ja noch hell genug. Außerdem hätte sie dann unter dem Bett hervorkommen müssen, und das wollte sie wirklich nicht."
Der zweite Text spricht gar nicht darüber, dass Luisa langsam Angst bekommt. Er zeigt es. Dadurch lernen wir die Figur besser kennen und können uns in die Situation hineinversetzen. Wir müssen uns nicht ausdenken, wie sich das wohl äußert, wenn Luisa ängstlich wird, sondern bekommen ein Bild, das wir uns vorstellen können.
Warum funktioniert "Show don't tell"?
Je konkreter und bildhafter Informationen sind, desto mehr können wir in sie eintauchen, sie uns vorstellen und merken. Denn bildhafte Beschreibungen lösen Informationen aus. Vielleicht denken wir, dass es unsinnig ist, sich unterm Bett zu verstecken. Oder wir haben als Kind selbst eine solche Situation erlebt. Beides verbinden wir mit Emotionen - und können uns dann später an diese Informationen ganz leicht erinnern, so wie ich an das Gefühl im Hotel.
Wenn ich dir dagegen etwas Abstraktes erzähle, wirst du nicht so leicht ein Bild damit verbinden und dich nicht genauso leicht daran erinnern.
Ich könnte dir zum Beispiel sagen, dass ich gerne lese und viele Bücher habe. Das ist erst mal nur eine sachliche Information, die du selbst zu etwas Bildhaftem übersetzen musst - oder du liest einfach drüber hinweg.
Wenn ich dir aber erzähle, dass in jedem Raum meines Zuhauses mindestens ein Buch zu finden ist, dass ich aus Platzgründen in meinen Bücherregalen die Bücher zweireihig aufgestellt habe, obwohl ich das nicht mag, dass ich in den Urlaub pro verreistem Tag ein Buch und dann noch ein bis drei als Puffer und meinen E-Book-Reader mitnehme ..., dann hast du eine Vorstellung davon, was ich damit meine, dass ich gerne lese. Weil du entweder den Kopf darüber schüttelst, lachst oder sagst: "Ja, klar, wie auch sonst?" Ich informiere dich nicht einfach, sondern ich gebe dir Einblick in mein Leben und meine Gedanken.
So kannst du in Sachtexten zeigen statt erklären
Show don't tell wird in jedem Kurs zur Belletristik gelehrt. In Sachtexten wird das Ganze aber oft ignoriert - weil wir da vor allem auf verständliche Sprache und logischen Aufbau achten.
Dabei kann Show don't tell dir dabei helfen, dass dein Buch viel besser verstanden wird und auch länger in Erinnerung bleibt.
Wie funktioniert nun Show don't tell bei Sachtexten? Schließlich denkst du dir hier ja keine Geschichte mit Figuren aus.
Tatsächlich tust du das meist nicht (könntest du aber). Eine Figur gibt's aber auch im Sachbuch. Und zwar dich als Autor*in. Und du hast jede Menge Situationen und Geschichten erlebt, die genau das illustrieren, was du erklären willst. Diese Situationen erzählst du einfach - und zeigst damit, statt einfach nur zu sagen.
Ich habe das am Anfang mit der Hotel-Geschichte gemacht. Am besten fängst du jedes Kapitel in deinem Buch mit einer solchen Anekdote an. Ist viel spannender als ein Sachtext und du hast sofort die Aufmerksamkeit deiner Leser*innen.
Auch Beispiele sind nichts anderes als Show don't tell. Der Unterschied zu Anekdoten ist, dass du sie meist erst gibst, nachdem du die Theorie erklärt hast. Beides ist super sinnvoll und hilfreich; beides gehört in jedes Kapitel.
Show don't tell = Storytelling?
Tatsächlich wird das, was ich hier erklärt habe, oft unter den Begriff "Storytelling" gepackt. Dabei ist Storytelling noch mehr und bezieht sich auf den ganzen Text, der im Idealfall einer bestimmten inhaltlichen Struktur folgt. Dazu gibt's demnächst einen Artikel. Mit Anekdoten und Beispielen, in denen du zeigst statt zu sagen, werden deine Texte auch so schon viel, viel besser.